Medienmitteilung, Zürich, 25. November 2016
Reformen der sozialen Existenzsicherung
Die Sozialhilfe, einst als kurzfristige Überbrückung von Notsituation gedacht, wird immer mehr zur langfristigen wirtschaftlichen Unterstützung. Sie erbringt zudem Leistungen in den Gemeinden, die weit über den ursprünglichen Auftrag hinausgehen, weil keine anderen Systeme zum Tragen kommen. Allerdings wachsen die Ausgaben für alle übrigen sozialen Aufgaben, insbesondere die Ergänzungsleistungen und die Pflegekosten, wesentlich stärker. Das führt zu einer starken Belastung der Gemeinden. Dies hielt Co-Präsidentin Astrid Furrer in ihrer Einleitung zur Jahrestagung der Sozialkonferenz des Kantons Zürich fest. Die Frage nach dem Stand der Reformen in der sozialen Existenzsicherung von der AHV bis zur Finanzierung der Langzeitpflege stand denn im Zentrum der Jahrestagung der Sozialkonferenz Kanton Zürich.
Das Reformpaket in der sozialen Existenzsicherung ist umfangreich und komplex. Die eigentliche Sozialhilfe ist nach wie vor nur das letzte Netz. Vorgelagerte Regelstrukturen der Bildung und des Arbeitsmarktes sowie soziale Systeme bestimmen vom Asylrecht bis zur AHV und den Ergänzungsleistungen die Anzahl der Sozialhilfebedürftigen. Ludwig Gärtner, stv. Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherungen zeigte sich vorsichtig zuversichtlich, dass die Reformen zu Stande kommen werden, weil mindestens Einigkeit bestehe über deren Bedarf.
Revision der EL dringend
Die Kosten für Ergänzungsleistungen steigen Jahr für Jahr massiv. Stadtrat Golta zeigte auf, dass in der Stadt Zürich knapp 5% Sozialhilfe beziehen, jedoch 20% Ergänzungsleistungen. Würde eine höhere AHV die Ergänzungsleistungen reduzieren? Jörg Kündig, Präsident des Gemeindepräsidentenverbandes liess die Frage offen, wies aber darauf hin, dass eine solide Finanzierungsbasis ein Muss sei bei einer Kostensteigerung von 300% bei den Ergänzungsleistungen.
Das Glas ist ziemlich voll
Regierungspräsident Mario Fehr trat der Auffassung entgegen, dass sich die verschiedenen Elemente gegenseitig im Wege stehen, wie es bei der Einladung zur Tagung zu lesen war. Er betonte, für ihn sei das Glas noch immer ziemlich voll. Er verwies auf die vergleichsweise tiefe Arbeitslosigkeit, die seit vielen Jahren stabile Sozialhilfequote im Kanton, die unaufgeregte Bewältigung der Unterbringung Asylsuchender und hob hervor, dass es sogar Gemeinden gebe wie Dietikon, in welchen trotz schwieriger Demographie die Sozialhilfequote sinke. Gewissermassen als Beweis, dass Reformen möglich seien, führte Fehr die zweistufige Überarbeitung der SKOS-Richtlinien an.
Eine wichtige Rahmenbedingung bei der schwierigen Reform der EL sei, dass es nicht zu einer Lastenverschiebung in die Sozialhilfe kommen dürfe. Er bedauerte, dass die Anpassung der maximal anrechenbaren Mietzinsen von der zuständigen Nationalratskommission aufgeschoben worden sei. Fehr schloss seine Ausführungen mit: „Wir können, müssen und wollen uns diesen Sozialstaat leisten.“
Pflegeversicherung als Lösung eines grossen Problems?
In der von Co-Präsidentin Astrid Furrer geleiteten Podiumsdiskussion stand die Finanzierung der Langzeitpflege im Zentrum, weil die steigenden Ausgaben für die Ergänzungsleistungen massgeblich von Heimaufenthalten getrieben ist. Kündig stellte die Grundsatzfrage, ob eine Verteildiskussion über die 3 Staatsebenen zu führen sei oder ob alternative Modelle gesucht werden müssten. Gärtner sieht ein Kapitaldeckungsverfahren als Versicherungsmodell ungeeignet. Eine Pflegeversicherung müsste obligatorisch sein.
Neue Zürcher Zeitung vom 24.11.2016
Wer soll das bezahlen?
Im internationalen Vergleich hat die Schweiz auch bei der sozialen Sicherung gute Karten. Reformen schleppen sich jedoch dahin. Das beschäftigt auch die kantonale Sozialkonferenz.
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Tages-Anzeiger vom 25.11.2016
Sozialhilfequote im Kanton stabil
Es gab schon tumultuösere Jahresversammlungen der kantonalen Sozialkonferenz als jene gestern in Winterthur. In die Dachorganisation aller Zürcher Sozial-, Fürsorge-, Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden ist erstaunlicherweise Ruhe eingekehrt. Vor zwei Jahren probten sozialkritische Landgemeinden noch den Aufstand, putschten ihre Mitglieder in den Vorstand und drohten, sich von den Skos-Richtlinien abzuwenden. In der alten Kaserne in Winterthur stritten sich die Vertreter von Gemeinden, Kanton und Bund gestern nur noch um Nuancen.
Die Wahl der freisinnigen Wädenswiler Sozialvorsteherin und Kantonsrätin Astrid Furrer als neue Präsidentin und Bindeglied zwischen den Flügeln hat sich offensichtlich bewährt. Natürlich wehrte sich Jürg Kündig (FDP, Gossau) als Präsident des Gemeindepräsidentenverbandes dagegen, dass der Kanton mehr Kosten an die Gemeinden abschaufelt. Sozialdirektor und Regierungspräsident Mario Fehr (SP) hielt aber seelenruhig dagegen: «Wir tun nur, was uns der Kantonsrat befiehlt.» Fehr lobte das soziale Klima im Kanton: «Es gibt keine Demonstrationen gegen Asylheime, Kanton und Gemeinden arbeiten ruhig zusammen.» Die Schweiz sei eines der wenigen Länder, in denen man überhaupt über die Kostenverteilung bei Pflegeheimen diskutieren könne – «die meisten anderen Länder haben gar keine solchen Institutionen».
Ruedi Hofstetter, der Chef des kantonalen Sozialamts, sagte: «Wir dürfen neben den Problemen, die wir mit Migranten haben, nicht unsere ureigenen Anliegen vernachlässigen – die Pflege und Förderung von Alten, Armen, Kranken und Kindern.» Gemäss dem gestern veröffentlichten Sozialbericht liegt die Sozialhilfequote im Kanton Zürich seit 2010 unverändert bei 3,2 Prozent. (rba)